Wie sich Struktur und Kultur der Organisation in der Teamzusammenarbeit auswirken und im Team reflektiert werden können

Die Gefahr eines als stimmig erlebten, vertieften Austausches zwischen Team-KollegInnen besteht in der Innen-Orientierung bei tendenziellem Vergessen des Kontextes. Die gesellschaftlich-sozioökonomische und Marktsituation, das struktur- und kulturbildende Ganze der Organisation, die Rückwirkung des Produkts, die Dynamik des Feldes und der Klienten – all dies wirkt herein ins Team, auf die Personen, die Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig sind dies die Felder, in die das Team in Erfüllung der gestellten Aufgabe hinauswirken kann und soll. Aus dem Spektrum des Kontextes möchte ich die Organisation, der das Team angehört, ihre formale Struktur und informelle Kultur, ihre Ausrichtung auf Funktionalität und die dennoch auftretenden Dysfunktionalitäten, ihre Eigengesetzlichkeiten, die auf der Ebene von Personen und Interaktionen nicht ausreichend erklärbar sind, ins Feld der Wahrnehmung rücken. Phänomene aus mehreren Perspektiven zu betrachten hilft, mehr zu sehen. Es geht nicht darum, Verantwortung auszulagern, sondern Verständnishorizonte zu erweitern und Möglichkeitsräume zu öffnen, in denen Klärungen stattfinden, die das Annehmen des Faktischen zugunsten eines wirkkräftigen Handelns im Gestaltbaren erleichtern. 

„Aus pragmatischen Gründen ist es sinnvoll, immer mit folgender Frage an Probleme heranzugehen, die sich in Organisationen auch als Probleme von Personen und von Interaktionen zeigen: Welches ist das ungelöste organisatorische Problem (der strukturelle Widerspruch, das Zusammenspiel aufeinander angewiesener, aber nicht deckungsgleicher Arbeitsinteressen und –ziele, die Diskrepanz zwischen vorgegebener Struktur und erforderlichem Prozess usw.), das sich uns auf der Ebene der Person als individuelles Problem und auf der Ebene arbeitsbezogener Interaktion als Beziehungs- und Gruppenproblem zeigt? (...) Denn man entlastet Personen und Gruppen damit von der Rolle der Schuldigen, mit der immer und besonders in Organisationen die Tendenz verbunden ist, sich zu verteidigen und zu rechtfertigen.“ (Buchinger 1997, S. 100 f.)

Das konsequente Dranbleiben an Arbeits-Themen bringt oft eine wohltuende Entwirrung von Beruf und Privat, von aktuellem Geschehen und Übertragungsanteilen, von konkreten Aufgaben und diffusen Beziehungswünschen. Und die Wahrnehmung organisationsspezifischer Phänomene befreit von Insuffizienzgefühlen und Schuldzuschreibungen, macht Handlungsspielräume deutlich und das Annehmen des Faktischen leichter

Betrachten wir zunächst Phänomene, die sich aufgrund formaler Strukturmerkmale von Organisationen beschreiben lassen (Schreyögg 1991). Dysfunktionale Erscheinungen ergeben sich, wenn in einer Organisation die Arbeitsteilung, Stellenverteilung oder Vorregelung der Aufgabenerfüllung nicht oder – in Zeiten schnellen Wandels immer wieder - nicht mehr wirklich „passt“.

  1. Aufgabenspezialisierung: Ist die Aufgabenspezialisierung zu hoch, so steigt der Koordinationsaufwand, der Blick für´s Ganze geht verloren, die Arbeitszufriedenheit sinkt. Ist die Aufgabenspezialisierung zu gering, so wird die Arbeit durch ständig notwendige Klärungs- und Aushandlungsprozesse behindert. Die Entwicklungsgrenzen sind dann schnell erreicht.

  2. Hierarchisierung: Ist sie zu stark ausgeprägt, werden individuelle Handlungsräume zu stark beschränkt, Verantwortung wird hin- und hergeschoben, es entsteht Widerstand. Ist sie zu gering, wird sie informell ausgehandelt. Dies führt zu Rivalitäten und mindert die Effizienz.

  3. Standardisierung: Ist sie übertrieben, so leidet die Kreativität und Motivation. Das Eingehen auf situative Besonderheiten wird erschwert. Ist sie zu gering, so geht zuviel Energie ins ständige Neuerfinden des Rades. Chaos und Überforderung sind die Folgen.

Weiters ist zu fragen: Passt die formale Struktur zur Größe der Organisation und zum Organisationsziel. Wachstum und neue Ausrichtung machen auch Veränderungen der formalen Struktur nötig.

Je kleiner die Organisation, desto mehr lässt sich im unmittelbaren Dialog der Beteiligten aushandeln. Je größer die Organisation, umso wichtiger wird es, neue Einsichten, die in den Reflexionsprozessen kleinerer Einheiten gefunden werden, in die relevanten Kommunikationen einzuspeisen. Organisationen entwickeln sich über Kommunikation. Nur was in den Diskurs der Entscheidungsträger gelangt, kann strukturell wirksam werden.

  1. Informelle Struktur: Informelle Strukturen bilden sich gruppendynamisch heraus. Sie prägen spezifische Rollenmuster, Normen und Standards. Als latente Strukturen kompensieren sie oft dysfunktionale formale Strukturen, transportieren Informationen, schaffen Zugehörigkeiten. Sie können die formale Struktur ergänzen oder unterlaufen. Nicht selten spielt die Machtfrage mit herein. Hilfreich ist ein offener Austausch zwischen formellem und informellem System.

  2. Politische Prozesse: Hier werden Interessenskonflikte um Ressourcen – die oft knapp sind – beobachtet sowie die Entwicklung von Strategien zur Durchsetzung von Interessen.

  3. Organisationsprozessmodell: Das Organisationsprozessmodell beschreibt typische Phasenverläufe der Entwicklung von Organisationen, um dysfunktionale Erscheinungen verstehen und Entwicklungschancen wahrnehmen zu können. Häufig zitiert ist die Unterscheidung in Pionierphase, Differenzierungsphase, Integrationsphase.

  4. Organisationskultur: kollektive Sinnsysteme, die über Kommunikationen aufrechterhalten werden und als Orientierungsmuster handlungsleitend sind

„Über tagtägliche Interaktionen bilden sich spezifische Sicht- und Handlungsweisen bei den Organisationsmitgliedern heraus, die zu kognitiven Strukturierungsmustern gerinnen. Im Verlauf solcher Prozesse entfaltet sich ein kollektives, kulturelles Gesamtsystem.“ (Schreyögg 1991, S. 174 f.)

Das vielleicht bekannteste Konzept der Organisationskultur wurde von E.H. Schein vorgestellt (Schein 1984). Weil sich Fragen im Team-Zusammenhang oft auf kulturelle Muster beziehen, möchte ich das Konzept kurz skizzieren. Es unterscheidet folgende Aspekte:

  1. Basisannahmen: Weltbilder und anthropologische Prämissen, Annahmen über die Organisationsumwelt, über menschliche Beziehungen, menschliche Haltungen; sie bilden den Hintergrund für

  2. Wertvorstellungen und Verhaltensstandards: sie beinhalten handlungsleitende Ge- und Verbote und schlagen sich nieder in einem

  3. Symbolsystem: beobachtbare Interaktionen und Verhaltensweisen, Sprachformen, Rituale, Mythen, Geschichten, Legenden

Die Kultur wird geprägt von den Gründern, der Gründungsgeschichte, den Organisationszielen, dem Umfeld, der Branchenspezifität etc. Organisationskulturen lassen sich nur über umfassende Dialoge mit und unter den Kulturträgern modifizieren. Sie werden über Interaktionen aufrechterhalten und sind auf ebensolchem Wege veränderbar. Der Supervisor als Dialogbegleiter und Dialogpartner ist hier vor allem in seiner Fremdheit gegenüber der Organisationskultur hilfreich. Zu große Nähe zum Feld (Feldkompetenz) kann den Blick verstellen.

Ein häufiges Missverständnis liegt in der Verwechslung von Organisationen mit Gruppen bzw. familialen Systemen. Kurt Buchinger hat dies prägnant dargestellt. Er charakterisiert Organisationen in Abgrenzung von familialen Systemen und Gruppen so:

„Moderne Organisationen sind primär an der Erfüllung von Funktionen orientiert, nicht an Personen und ihren Beziehungen. Man kann den Sinn einer Organisation, ihre Zielsetzungen, ihren Aufbau, ihre Struktur, die organisationsinternen Abläufe, Vernetzungen, Widersprüche ausreichend beschreiben, ohne dabei auf Menschen Bezug nehmen zu müssen.“ (Buchinger 1997, S. 12) In Organisationen sind Menschen ersetzbar, nicht aber die Funktionen, die sie erfüllen. „Eine Organisation, in der nicht jede einzelne Person als Funktionsträger ersetzbar wäre durch eine andere Person, hätte etwas falsch gemacht.“ (Buchinger 1997, S. 13)

Die internen Prozesse von Organisationen bestehen aus Kommunikationen, „deren Sinn darin liegt, Tätigkeiten und Informationen soweit miteinander zu vernetzen, als es für die Lösung der anstehenden Aufgaben notwendig ist. (...) Der Kontakt (der Menschen untereinander) ist der Sachaufgabe untergeordnet, hat ihr zu dienen.“ (Buchinger 1997, S. 13) Kommunikative Strukturen werden nach den Erfordernissen der Sachaufgaben und nicht nach menschlichen Bedürfnissen gestaltet.

Organisationen entwickeln Systeme indirekter Kommunikation, in denen aufgabenbezogene Informationen ausgetauscht werden, ohne dass die Menschen in einen persönlichen Kontakt zueinander treten müssen – „ohne sich der Unwahrscheinlichkeit gelingender Kommunikation zwischen Personen aussetzen zu müssen.“ (Buchinger 1997, S. 14) Die Unterscheidung zur Familie im Überblick:

Familie

Organisation

Funktionen austauschbar, nicht die Personen Personen austauschbar, nicht die Funktionen
Primäre Kommunikation
(Mensch/Beziehung)
Sekundäre Kommunikation
(Aufgabe)
Direkte Kommunikation Indirekte Kommunikation
Geringe Spezialisierung Hohe Spezialisierung

„Erst wenn es gelingt, den Familienmythos aufzugeben zugunsten eines adäquaten Modells der Organisation (als eines kalten, nicht personenbezogenen Systems, bestehend aus Strukturen und Kommunikationen zum Zweck der Lösung von Sachproblemen), ist man von Erwartungen an die Organisation entlastet, die deshalb enttäuscht werden müssen, weil sie in einen anderen sozialen Kontext gehören. Man ist dann freier, sich einen sachlichen Überblick über die Strukturen zu verschaffen und sie zum Zweck der optimalen Problemlösung (...) zu nutzen.“ (Buchinger 1997, S. 20)

„Organisationen sind unserer Wahrnehmung und unserem Erleben nicht unmittelbar zugänglich. Erst in ihren Auswirkungen, die sie unter anderem im Verhalten und Erleben ihrer Mitglieder und in den Arbeitsbeziehungen zwischen ihnen oder zwischen einzelnen Organisationseinheiten zeitigen, nehmen wir sie wahr. Wir müssen ihre Eigenart mühsam aus diesen Auswirkungen erschließen.“ (Buchinger 1997, S. 16)

Erkennt man die organisatorische Dimension eines Problems, werden Personen und Arbeitsbeziehungen entlastet. Man kann sich aus dem Feld imaginierter persönlicher Unfähigkeiten und interaktioneller Verstrickungen lösen, organisatorische Sachverhalte anerkennen und notwendige Veränderungen benennen (womit die Grenze des Settings Supervision erreicht ist).

Der Supervisor dient dem Team am besten, wenn er das Organisationsziel und die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit der Organisation als Ganzes im Blickfeld behält und ins Blickfeld des Teams rückt, wenn sich die Mitglieder als autonome Gruppe mißzuverstehen beginnen. Und er entlastet das Team durch Förderung des Organisationsbewusstseins – der Fähigkeit, in Strukturen und Prozessen organisatorischer Art zu denken, statt nur in Kategorien von Personen und ihren Beziehungen. Supervision ist ein Ort, an dem die dazu nötige Distanzierungsfähigkeit-in-Beteiligung (Elias 1983) geübt werden kann. Konflikte im Team sind nicht zwangsläufig misslungene Koordinationsleistungen – sie können strukturbedingt notwendig sein. Dann sind sie potentielle Innovationsimpulse. Das Wissen dazu entsteht im Dialog.

Supervision ist nicht der Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden. Es geht um Klärungen, neue Perspektiven, Möglichkeitsräume. Dennoch sind Entscheidungen und Entscheidungsprozesse häufig Thema – Angst vor Entscheidungen, Unsicherheit in Entscheidungen, das Übergangenworden-Sein in Entscheidungsprozessen, die Frage der Zuständigkeiten für zu Entscheidendes, Wertkonflikte, die in Entscheidungen sichtbar werden. 

H. v. Foerster´s geflügelte Worte „Nur Unentscheidbares muss entschieden werden“ deuten die Schwierigkeit an, mit der wir es zu tun haben. Ralph Grossmann über Entscheidungen: „Was muss eigentlich in Organisationen entschieden werden? Nur das, was nicht errechnet, gemessen, gewogen, ‘wissenschaftlich’ auf eine Lösung zugeführt werden kann, braucht wirklich eine Entscheidung. Jeder Entscheidung wohnt der Konflikt, die Unsicherheit inne. Entscheidungsprozesse sind so gesehen immer Konfliktmanagement.“ (Grossmann 1994, S. 91)

Worauf sich stützen, wenn die verfügbaren Daten keine Gewissheit geben? Das beste Mittel ist dann die Überprüfung der eigenen gefühlsmäßigen Einschätzung im kollegialen Dialog. Doch gerade Gefühle sind in Organisationen häufig in den Bereich der informellen Kontakte verschoben. Als Erkenntnismittel für Entscheidungen stehen sie dann nicht zur Verfügung. Gefühl, Gespür, Intuition können neue Sichtweisen eröffnen, und sie können uns trügen. Sie in den Dialog zu bringen hilft, zu erkennen, wo uns unsere Erfahrungsgeschichte den Blick auf die situativen Gegebenheiten verstellt oder eröffnet.

„Eine Entscheidung muss akzeptiert sein, wenn sie kompetent umgesetzt werden soll. Akzeptanz setzt Transparenz der Motive und Kriterien voraus. Unklare Entscheidungen oder unterlassene Entscheidungen belasten alle (...) und sie belasten die Kooperationsbeziehungen. Sie verschieben die Unsicherheit, die in der Sache steckt, auf die Beziehungen.“ (Grossmann 1994, S. 92) Oft ist der Entscheidungsdruck im Alltag enorm. In der Supervision gibt es Raum, diese Transparenz der Motive und Kriterien nachzuliefern.

Organisationen entwickeln sich über Entscheidungen. „Durch Entscheidungen werden Handlungsoptionen für die Zukunft ausgewählt. Durch Entscheidungen werden verbindliche Orientierungen geschaffen, wird Sicherheit gewährleistet. Der Alltag von Organisationen besteht aus einer endlosen Kette von Entscheidungen, die jeweils wieder neue Entscheidungen notwendig machen. Über die Art und Weise, wie Entscheidungsprozesse organisiert werden, bestimmt sich sehr stark die Leistungsfähigkeit von Organisationen: Welche Kriterien in die Entscheidung Eingang finden, wie sorgfältig Entscheidungen vorbereitet werden wer einbezogen wird, wie effizient und transparent Entscheidungen getroffen werden, wie viel Akzeptanz für getroffene Entscheidungen geschaffen werden kann. (...) Entscheidungsprozesse brauchen geeignete Strukturen: Termine, Zeit, eine funktionale Zusammensetzung von Besprechungen, Kommunikation der Ergebnisse. Nicht kommunizierte Entscheidungen sind in der Wirkung fast so, wie wenn sie nicht getroffen worden wären.“ (Grossmann 1994, S. 93)

Supervision ist oft der einzige Ort des entschleunigten und gründlichen gemeinsamen Nachdenkens über die Auswirkungen der eingeführten und aktuell gelebten Entscheidungsstrukturen im Alltag. Dass dadurch Alternativen sichtbar werden, lässt sich kaum verhindern. Wenn es keine geeigneten Kommunikationsstrukturen gibt, in die diese Alternativen eingespeist und in denen sie aufgegriffen werden können, so wird sich der gemeinsame Erkundungsprozess nun auf sie richten.

„Ideen und Motive alleine bewegen noch nicht soziale Systeme. Organisationsentwicklung ist immer ein doppelter Prozess. Personen müssen Ideen, Fähigkeiten, Engagement einbringen und es gilt, diese Intentionen in geeignete Kommunikationsstrukturen zu übersetzen, in Zuständigkeitsregelungen, Aufgabenbeschreibungen, Erfolgs- und Qualitätskriterien, einen sinnvollen Ressourceneinsatz und darauf bezogene Entscheidungen. Häufig machen entsprechende Arbeitsstrukturen die Entwicklung von Ideen und Einstellungen überhaupt erst möglich. Organisationsentwicklung ist wesentlich auch Strukturentwicklung, ihr Erfolgskriterium liegt in der sorgfältigen Abstimmung und Verknüpfung von Personen- und Strukturebene.“ (Grossmann 1994, S. 96)

Supervision ist eine entsprechende Arbeitsstruktur, in der alternative Ideen und Einstellungen entwickelt werden. Sofern organisatorische Phänomene thematisiert und reflektiert werden (was auf jeden Fall Sinn macht),  können von ihr Impulse für einen stetigen Wandlungsprozess der Organisation ausgehen. Diese Entwicklungen können nur von den Organisationsmitgliedern selbst initiiert und bewältigt werden. Der Supervisor ist als kulturfremder Dialogpartner von Nutzen. 

zitierte Literatur:

Buchinger, Kurt (1997): Supervision in Organisationen. Den Wandel begleiten; Heidelberg 1997
Grossmann, Ralph (1994): Organisationsentwicklung im Krankenhaus; in: Heller, Andreas (Hg.), Kultur des Sterbens; Freiburg im Breisgau 1994
Schreyögg, Astrid (1991): Supervision. Ein integratives Modell; Paderborn 1991

© Stefan Pfanner 2001